Harpyie

von Christine Wetzlinger-Grundnig

Zenita Komad ist es in den vergangenen Jahren gelungen, sich mit ihrer außergewöhnlich individuellen, gattungsübergreifenden, künstlerischen Arbeit, oder besser gesagt, mit ihrem umfassenden, höchst subjektiven Kunst-Kosmos namens „Zenita Universe“, in dessen Zentrum die Person der Künstlerin selbst steht , im internationalen Kunstbetrieb zu positionieren. Das Werk „Harpyie“ entstammt ebenfalls dieser facettenreichen, bunten Welt, ist Teil einer komplexen, inhaltlich eng verknüpften Œuvres, das sich durch Intuition, Kreativität, integrative, anarchische Strategien, Wissbegierde, Neugierde, Vorwitz, Heiterkeit und Absurdität auszeichnet.

Die Harpyie ist eine überaus große, kräftige Greifvogelart, die in den tropischen Wäldern Mittel- und Südamerikas vorkommt. In der griechischen Mythologie sind die Harpyien die Töchter des Meerestitanen Thaumas und der Okeanide Elektra. Sie sind geflügelte Mischwesen, verkörpern die Sturmwinde und sind quasi unverwundbar. Zenita Komad verwandelt in ihrer Arbeit die Gestalt des mythologischen Vorbilds, die sowohl als schöne als auch hässliche weibliche Erscheinung beschrieben wird, in ein äußerst ungewöhnliches bildnerisches Äquivalent, in ein textiles Materialbild, das seine unheimliche Suggestionskraft zwischen überwältigender Monumentalität, naiv-einfacher Emblematik, und beinah lieblich-humoriger Darstellung entfaltet. Die Künstlerin verbindet unterschiedliche Verfahren, Malerei, Objektkunst und Handwerkstechnik, und agiert unorthodox mit durchaus traditionellen Mitteln. Sie näht, formt, malt und baut, sich über herkömmlichen Konventionen des bildnerischen Gestaltens hinwegsetzend, kommt vorderhand dilettantisch daher, jedoch unglaublich lustvoll, mit kindlicher Freude.

Zenita Komad kreiert ein Wandobjekt aus der Kombination von Tafelbild, vielmehr Bildtafel, und skulpturalen, räumlich ausladenden Elementen. Diese wachsen scheinbar aus der flachen Leinwand heraus, die Repräsentationsfläche wie dreidimensionaler Formträger einer sonderbaren, plastischen Figur ist, die sich zwischen ausgeprägter Körperlichkeit und gleichzeitiger Dekonstruktion dessen bewegt. Die Körperfragmente sind auf ihr Wesentlichstes reduziert, sie beschreiben summarisch das Äußere des Fabeltiers: zwei rote Hörner, zentral ein einziges, großes, magisch starrendes Auge – Symbol von Macht aber auch der Seele, des Unterbewussten, das, alles sehend, sich furchtlos den Betrachtenden gegenüberstellt –, zwei gefährliche Hauer, ein riesiges Maul – oder ist es eine unergründlich-bedrohliche Vulva – zwischen stacheligen Vogelbeinen, die in samtenen, schwarzen Frauenschühchen stecken. So entsteht ein prägnantes, eigenwilliges Werk, ein archaisch anmutendes, starkes, weibliches Symbolbild großer Assoziationskraft, das eigene und kollektive Ängste überwindet und als mächtiges Schutzidol Gefährliches abwehrt.