Ich verwende mich als Material und schlüpfe in Gedanken wie in Rollen …
Interview mit Zenita Komad von Gerald Matt
Im Zuge der Ausstellung Lebt und arbeitet in Wien II haben Sie im großen Ausstellungsraum der Kunsthalle Wien sukzessive ein Projekt entstehen lassen, das mit der Weizenkornlegende von der Erfindung des Schachspiels nicht nur inhaltlich zu tun hatte: Die Operation Casablanca wuchs, ausgehend von einem leeren Schachbrett von 8 &multiply; 8 Metern, sozusagen exponential in mehrere Richtungen, indem sie nicht allein in der Aufführung einer Schachoper gipfelte, sondern auch eine ganze Reihe von Veranstaltungen zum Thema Schach – samt eines Großmeisterturniers –, ein Video, ein würfeliges Katalog- und Spiel-Multiple und natürlich 30 skulpturale Schachfiguren generierte. Dies alles „realisierte sich“ innerhalb eines klaren Zeit- und Budget-Limits. Welche geheimnisvolle Strategie steckte hinter dieser „Operation“?
Das kann ich am ehesten mit dem Schneeballsystem beschreiben. Die Grundlagen für dieses Werk wurden schon maßgeblich in meiner Kindheit gelegt. Schach und Musik waren und sind in meinem Musiker-Elternhaus von existenzieller Bedeutung. Ich habe viele, viele Stunden damit verbracht, dem Schachspiel meiner Eltern und meines Großvaters beizuwohnen. Die Weizenkornlegende hat mir meine Mutter als Kind oftmals erzählt. Mein zunächst irrational-biografischer, subjektiver Zugang zum „Schachlich- Musikalischen“ war mein Triumph im Erarbeiten der Geschichte … Als Kind spürte ich eine große, nahezu unüberwindliche Ehrfurcht dem Schach und der Musik gegenüber. Mein intuitiv veranlagter Geist war dem Rationalen nur aus der Distanz zugewandt. Im Laufe des Arbeitsprozesses wurde mir bewusst, dass der Schachspieler per se höchst intuitiv handeln muss. Lothar Schmid berichtete mir von dem berühmten Spiel „Spassky gegen Fischer“ in Reykjavik, bei dem er als Schiedsrichter agierte. Er war tunlichst darauf bedacht, die Partie nicht mitzudenken, um eine mögliche Gedankenübertragung zu vermeiden. Immer wieder stieß ich auf spirituelle Momente von wissenschaftlichem Ausmaß. Ich liebe und verehre das Werk der Komponisten Bernhard Lang und Nadir Gottberg, also trat ich an die beiden mit der Bitte heran, mein Libretto zu vertonen. Und der Schneeball wuchs und wuchs. Stefan Löffler war bereit, ein Großmeisterturnier zu organisieren. Der jüngste Schachspieler, Arik Braun, gewann. Regina Pokorna spielte ja eine Blindpartie gegen Sie, bei der meine Objekte nur so übers Feld gejagt wurden … und der Schneeball wuchs weiter. Die geheime Strategie ist wohl, die richtigen Leute zu finden und zu begeistern. Ich hatte eine fabelhafte Besetzung und ein insgesamt fantastisches Team. Der Rest ist harte Arbeit, Durchhaltevermögen und das strikte Ablehnen von Zweifeln. Das Budget war furchtbar knapp, da sieht man, dass eiserner Wille manchmal Berge versetzt, denn ein Schiff erschaffen, heißt nicht die Segel hissen, die Nägel schmieden, die Sterne lesen, sondern die Freude am Meer wachrufen.
Improvisation spielt bei Ihrer künstlerischen Arbeit eine offenbar wichtige Rolle. In dem Wort Improvisation steckt das lateinische proviso/providere, also vorhersehen. Gibt es eine „Vorsicht“ im Zuge spontaner (künstlerischer) Handlungen?
Ich erarbeite meine Inszenierungen im Vorfeld sehr genau. Durch intensive Probenarbeit wird ein äußerst strikter Handlungsrahmen entwickelt. Ich improvisiere nicht. Wenn auch einzelne Momente durch eine gewisse Leichtigkeit den Anschein erwecken wollen, so ist doch jeder Schritt genauestens geplant und ausgearbeitet. Die Präzision ermöglicht gewisse Freiheiten für die Akteure, da ihre Rollen wie perfekte Maßanzüge sitzen.
Bei dem zuerst genannten Schachopernprojekt wurde mir bald klar, dass Zenita Komad nicht „nur“ in Wien lebt und arbeitet, sondern vor allem auch in der von Ihnen so genannten „Zenita City“ – einer virtuellen Stadt mit sehr vielen realen Bewohnern und einem offenbar hervorragenden Kommunikationssystem. Wie wird Zenita City geleitet und verwaltet? Wer erhält das Bürgerrecht und wer scheidet allenfalls aus?
Es ist einem zumute wie dem befreiten Gefangenen, der staunend die Unendlichkeit des Meeres erkennt. Zenita City beherbergt Seelen- und Herzensfreunde, Freaks, Denker, Erleuchtete, Wortspezialisten und Gedankendoktoren, Freudenspender, Luftschlossbauer, Witzerfinder, Lachmuskelmasseure, Gesamtkunstwerker und viele mehr – und nicht zu vergessen: Zenita City ist ursprünglich aus Liebien und Nettland.
Ihre einmal getätigte Aussage: „Ich zweifle alles Ideologische an“ trifft demnach auch auf die „Politik“ in Zenita City zu, und sie spiegelt sich in direkt rezipierbarer Form in Ihren Text-Bildern, die gerne aus Kombinationen von Zitaten unterschiedlicher Herkunft bestehen, welche sich zu einer Art visueller Poesie formieren, indem sie sich bisweilen kontradiktorisch ineinander verschränken. Da heißt es z.B.: „Religion is Dangerous“, „Wer sich nicht wehrt, landet am Kreuz“, oder: „Gott ist (nicht) das Nichts“. Dann wieder tauchen Sätze auf, die doch einen Anhauch von Ideologie haben, auch wenn es nur eine pazifistische ist: „Stop Word War“, oder: „How can we dance when the World (is) burning“ – wobei im letzten Bild das Wort „burning“ auch als „boring“ gelesen werden kann, genau genommen als beides. Das mutet fast etwas zynisch an, auch wenn ich Zynismus nicht als eine wesentliche Komponente Ihres Arbeitens und Aussagens erachten würde. Wie stehen Sie unserer Gesellschaft und im Besonderen der Kunst-Gesellschaft gegenüber? Wie gelangen Sie zu Ihren Textfragmenten und Zitaten? Gezielt suchend oder spontan (er)findend?
Ich stimme dieser Beobachtung zu, Zynismus liegt mir eigentlich nichtbesonders. Ich habe eine undogmatische Einstellung, ich bemühe mich um Einblicke, Aspekte der Wirklichkeiten: ein Aspekt widerspricht dem anderen. Aber in der gesamten Wirklichkeit treffen sich alle, vermischen sich und sind eins. Ein Dogma muss in sich schlüssig sein. Ich will nicht zu einem bestimmten Glauben bekehren. Ich will eine Vision vermitteln, keine Dogmen.
In jüngerer Zeit rüsselt, äugt und luftwurzelt es aus Ihren Bildern heraus, sie wachsen in den Raum hinein. Der Psychologe August Ruhs nennt diese Arbeiten „Wurzelskulpturen“, die seiner Auffassung nach nicht nur den Topos Wurzel mit seinen verschiedenartigen Konnotationen thematisieren, sondern auch darauf verweisen, „dass das Künstlersubjekt immer auch sich selbst, Teile seines eigenen Selbst oder aber Manifestationen seines Begehrens in seinen bildnerischen Gestaltungen deponiert. Das Streben nach Festigung seiner Identität und nach seiner Verankerung in der Welt, das Streben also, irgendwo beheimatet und verwurzelt zu sein, gehört sicherlich zu den Grundbedürfnissen des Menschen.“ Die Thematisierung der Identitätssuche geht heute quer durch alle Künste und Zeit- Reflexionen. Sind ihre „Wurzelskulpturen“ aus Ihrer Sicht dazu ein Beitrag?
Ich finde August Ruhs’ Interpretation sehr interessant. Dieser Werkzyklus entstand in der Auseinandersetzung mit den uns unsichtbaren Regionen des Daseins. Eine Theorie besagt, dass jedes Lebewesen unsichtbare Wurzelkanäle in andere Sphären besitzt. Dieser Gedanke hat mir gefallen, weil er dem Bedürfnis des Erdenbürgers nach Verwurzelung zuvorkommt.
Ein junger Baum, der starkem Wind ausgesetzt ist, wird starke Wurzeln entwickeln. Mit den Wurzeln zieht der Baum Wasser/Nahrung zu sich herauf, um Blüten und Früchte zu tragen. Umso tiefer seine Wurzeln gehen, desto stabiler steht er in der Welt. Es ist ein Versuch, Unsichtbares sichtbar zu machen.
Sie sind mit dem Theater aufgewachsen, Ihre Mutter ist Opernsängerin, Sie selbst arbeiten bisweilen wie eine Regisseurin. Was bedeutet „Inszenierung“ für Sie insbesondere im Verhältnis zu Direktheit/Unmittelbarkeit und damit „Wahrheit“?
Meine Mutter singt leider schon lange nicht mehr. Ich erinnere mich an ihre Schubert- und Mahler-Lieder vage … sie hat mir eine wundervolle Kindheit ermöglicht. Als Theaterkind den Probenarbeiten und Vorstellungen beizuwohnen, vom Schnürboden hinunterzuschauen, den Duft des Maskenraumes zu inhalieren war mir bei Weitem spannender als in den Kindergarten oder in die Schule zu gehen. Von Lampersberg „Ach du holdes Kind, du noch nicht im Zenith …“ auf einen Bierdeckel gekritzelt zu bekommen, mit Dichtern in fliegenden Zimmern durch den Himmel zu reisen und vom Dirigenten im Orchestergraben eine Direktschaltung zum Osterhasen zu bekommen, all dies gestaltete meine Kindjahre äußerst unterhaltsam. Als ich in mein Erwachsenenleben zwangsläufig eindringen musste, war mir eigentlich eher das Nicht-Inszenierte unbekannt und manchmal sogar unverständlich. Die Wahrheit … ich strebe Intensität an, und viele kleine Wahrheiten zusammengefasst ergeben eine ganz schön große. Denn nichts ist wahrer oder weniger wahr. Sondern nur mehr oder weniger wirksam.
Sie haben einmal erzählt, dass Sie zum Wiener Aktionismus eine Affinität haben und auch einige seiner Vertreter persönlich gut kennen. Ist der Wiener Aktionismus für Sie eine historische Erscheinung oder orten Sie dort Intentionen, die noch heute Aktualität besitzen und wenn, welche? Hat die Auseinandersetzung mit dem Aktionismus auch Ihre Arbeit befruchtet? Sehen Sie im gegenwärtigen künstlerischen Feld neue aktionistische Tendenzen?
Irgendwann dachte ich, es wäre schon alles gesagt. (Glücklicherweise ist dem nie so.) Dann habe ich folgende Erfahrung gemacht: je mehr Wissen man sich aneignet, um den Horizont zu erweitern, desto größer wird das Nichtwissen und das Unsagbare/Unwissbare (eines meiner Schriftbilder sagt: Wissen ist eine höchst komplizierte Sache – Liebe auch). Der Aktionismus betreibt psychische/physische Reinigung durch effektive Erschütterung. Da sind die Nachkriegswehen, der Schmerz, die Verzweiflung und der Leidensdruck starke Merkmale des Befreiungsaktes. And they did a good job, right! Meine Generation hat einen vollkommen neuen Zugang entwickelt, der natürlich ursprünglich in dieser geschichtlichen Tradition verankert ist. Die Pfeife wurde bereits weitergegeben. Nach dem Aktionismus kam der Operationismus. Vielleicht sind wir schon reif, auf Ismen zu vergissmen. Ginseng to Actionism! Wohl bekomm’s!!!
Im Rahmen der Ausstellung Superstars, bei der Sie mit einem Fotoautomaten namens Zenita City in der Kunsthalle Wien teilgenommen haben, sagten Sie in einem Interview: „Ich möchte nicht im Mittelpunkt stehen“, und: „Es ist vielleicht überhaupt das Ziel, vom Ego wegzukommen. Gute Kunst sollte nichts mit dem Künstler zu tun haben.“ Wie vereinen Sie diese persönliche Haltung mit Ihrer künstlerischen Karriere, die Sie mit Ihren 27 Jahren bereits auf internationale Kunstmessen und in renommierte Ausstellungshäuser bringt mit Ihrem privaten wie künstlerischen Umfeld – z.B. in Zenita City –, in dem prominente Namen ein- und ausgehen wie einst in den besten Salons?
Mein Werk ist natürlich für das Publikum bestimmt und soll gesehen werden, präsent sein und wirken. Ich denke, dass sich ein starkes Werk aus den gewohnten Denk- und Wahrnehmungsmustern erhebt. Der Abnabelungsprozess von einem Werk ermöglicht überhaupt erst einen souveränen Umgang mit der Materie. Ab dem Moment der Fertigstellung ist das Werk autonom, meine Aufgabe ist dann, für die bestmögliche „Verwaltung“ zu sorgen. Und die Verantwortung zu übernehmen … und natürlich weiter zu machen. Was das betrifft, muss ich eine klare Trennlinie ziehen, mein Werk soll im Mittelpunkt stehen, nicht ich. I believe in a power much higher than me ist ein Schriftbild, das diesbezüglich entstanden ist.
Gleichwohl scheinen Sie Ihr Auftreten in der Öffentlichkeit auch zu inszenieren. Inwieweit arbeiten Sie in der Rolle der Künstlerin mit Ihrem äußeren Erscheinungsbild als Teil Ihrer künstlerischen Haltung?
Dass mich sogar Menschen, die mich relativ gut kennen, ab und an nicht erkennen, weil sie mich so verändert wahrnehmen, hat mich oft sehr verwundert. Wohl scheinen meine Gedankenprozesse, Befindlichkeiten und Zustände sehr schnell sichtbar zu werden.
Dennoch, ich verwende mich als Material und schlüpfe in Gedanken wie in Rollen. Dazu gibt es dann auch meistens das passende Kleid, den passenden Schuh, ein Hut darf dann zumeist auch nicht fehlen. Ich mag Verwandlungen; Wandlung ist etwas äußerst Angenehmes und Wohltuendes. „Verkleidungen“ sind sehr hilfreich im Freisetzen spielerischer Energien. Ich glaube, dies hat auch mit Lebensfreude und dem Bedürfnis nach Schönheit zu tun.
Woran arbeiten Sie zurzeit? Was sind Ihre Pläne für die nähere Zukunft?
Ich bin momentan Artist in Residence im MAK Schindler House Los Angeles. Ich bin in einem spannenden Entwicklungsprozess, arbeite an Objekten, Bildern, Zeichnung und Formeln.
MY WORK COMES FROM MY HEART. MY RESOURCE IS
INSIDE, THE INSIDE INCLUDES AND DESCRIBES THE OUTSIDE.
THE POWER GOING TROUGH ME DOESN’T ASK, IT DIAGNOSES,
DECIDES AND DETERMINES. (D-D-D)
(WE DEFINE THE FUTURE TROUGH OUR THOUGHTS AND
ACTIONS. F=T+A) NOW IS THE KEY!
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Zenita Komad im Gespräch mit Gerald Matt im August 2007. Die Künstlerin war in den Ausstellungen Lebt und arbeitet in Wien II und Superstars. Das Prinzip Prominenz. Von Warhol bis Madonna der Kunsthalle Wien und des BA-CA Kunstforums 2005 vertreten. Zenita Komad, geboren 1980 in Klagenfurt, lebt und arbeitet in Wien.