Über den unstillbaren Hunger eines tief verwurzelten Vergegenwärtigungsbedürfnisses. Versuch einer Verortung der künstlerischen Praxis von Zenita Komad
Von Hans-Peter Wipplinger
Das Label ZENITA CITY spricht Bände! Bei der Rezeption ihres bereits erstaunlich umfangreichen wie vielfach diversifizierendem Œuvres tauchen wir ein in einen Kosmos des Anderen und Fremden, das uns überrascht, das uns befremdet, das uns vor allem auch über die vielfältigen Verwicklungen unserer Geschichte, unseres Verhaltens und Bewusstseins nachzudenken anregt. Leben wie Werk verschmelzen bei Zenita Komad zu einer Einheit – schnell manifestiert sich bei der Betrachtung und nicht zuletzt im persönlichen Gespräch, dass das Leben allemal die größte Inspirationsquelle ihres Schaffens darstellt. Die unentwegten Fragen zum Leben und zur gesellschaftlichen Umwelt kann man getrost als existenzielle Angelegenheiten des Menschseins bezeichnen. Handelnd – oftmals auch kollaborierend – ertastet sie sich ihre Welt, setzt Festpunkte für ihre Orientierung und Beziehung im Jetzt. Komads Praxis ist die einer aufmerksamen Beobachterin, die alles Gesehene, – ob Geschichte/n, Weltanschauungen, (Umwelt-)Systeme des Sozialen oder Politischen etc. – aufsaugt, in diese Denkmodelle eintaucht, deren Bedeutungen hinterfragt und ihren ganz eigenen Reflexionen unterwirft. Sie scheut nicht davor zurück, ihre Säulenheiligen zu zitieren, manchmal zu paraphrasieren oder gar vom Sockel zu stoßen. Bei diesem Prozess der Hinterfragung passt sie jedoch – stilistisch betrachtet – immer die rekonstruierten Dekonstruktionen an ihre originäre Handschrift an, transformiert diese in ihr persönliches Bildvokabular. Sie nimmt sich liebevoll ihrer Vor-Bilder und Wegbegleiter an, mit denen sie eine freundschaftlich-platonische Beziehung, eine innige Affinität verbindet, um sie flugs in ihre ZENITA CITY einzugemeinden. Dabei agiert sie keinesfalls archivarisch im Sinne eines wissenschaftlich akribischen Erfassens und Auswertens von Informationen, sondern ganz im Gegenteil, äußerst spontan, enthusiastisch und intuitiv nach ihren eigenen Kriterien, ihrem persönlichen Interesse. Das wirkliche Leben ihrer Zeit wie das Denken ihres persönlich und kulturell definierten Ichs gewinnen dabei immer die Oberhoheit, mit dem Ziel, die Bedingungen der Wahrnehmung zu erforschen und so etwas wie den Zustand der Kultur preiszugeben. Im Zuge dieses Schaffensprozesses geht sie vor wie eine energiegeladene Werktätige, in deren Produktionsstätte – natürlich symbolisch – die Hochöfen brodeln, in deren Werkstätte eine unglaubliche, geradezu explosionsartige Energie pulsiert, so als wäre ZENITA CITY erst kürzlich am Reißplan entworfen worden und es gälte nun, ohne Zögern die Mission zu erfüllen und aus der Vision Wirklichkeit werden zu lassen. Eine Wirklichkeit, die aus visionären Versatzstücken entsteht und sich – um das Bild der Stadt wieder aufzugreifen – Distrikt für Distrikt auf phantastische Weise konstruiert. Das Universum ZENITA CITY beschreibt dergestalt eine Welt, respektive einen (sozialen) Ort, an dem die Idealvorstellungen von Sein realisiert werden: Undogmatische Philosophien kursieren da, verschiedenartigste Persönlichkeiten mit eigenen Gesellschaftsvisionen interagieren in diesem Terrain und erhalten vielleicht einen Passierschein und damit eine Zugangsmöglichkeit in die fremde, utopische Stadt der Architektin Zenita Komad. Der Verweis auf den 1516 erschienenen Roman Utopia von Thomas Morus scheint in diesem Zusammenhang angebracht, in dem es um die ideale Gesellschaft in einer fernen Weltgegend bzw. auf einem fiktiven Inselkönigreich geht.
Bei ihrer Kunstproduktion interessiert sich Zenita Komad weder für Stil noch für Trends und schon gar nicht für den Geschmack des p.p. Publikums. Das Wichtigste scheint ihr Freiheit und Unabhängigkeit zu sein, in ihrer ästhetischen Produktion ebenso wie in ihrem Leben. Nur wenn diese gegeben ist, lässt sich die reine Intuition des Augenblicks mit all ihren Dimensionen der Authentizität erreichen und künstlerisch vermitteln. Ihre Wortspiele, die zahlreich Eingang finden in die Leinwände und in die skulpturalen Arbeiten, denen etwas Dadaistisches anhaftet – im Hinblick auf die anarchistische Zusammenführung verschiedener künstlerischer Disziplinen wie auch im Sinne des Zufalls als schöpferisches Prinzip und nicht zuletzt produktionstechnisch bezüglich der Methode modulartiger Collage von Wort, Bild und Objekt –, bringen ihre Weltanschauung kongenial zum Ausdruck. Hinter der Bedeutung des Bildes verbergen sich meist andere Bedeutungen der Worte, sinnfreie Bezeichnungen der Zeichen. Zenita Komads Verwendung der Buchstaben und Zeichen erinnern vereinzelt an den Gründer der Lettristischen Bewegung Isidore Isou, dem es um die Atomisierung von Wörtern und Buchstaben ging und der damit eine Revolution der konventionellen Ästhetik intendierte. Vom Lettrismus ist der Weg zur konkreten wie zur visuellen Poesie nicht mehr weit, wobei wir wieder bei Zenita Komad gelangt sind. Nicht unähnlich der Vorgangsweise Isous kümmert sich die Künstlerin nicht sonderlich um Angelegenheiten der Kohärenz, weder im linguistischen noch im philosophischen Sinne. Die Text-Bild-Poesien weichen vielfach voneinander ab, widersprechen oder unterstützen sich, brechen Rezeptionscodes auf oder dekonstruieren deren Semantik. Zurück bleibt der Betrachter, manchmal mit einem Ton der Beklemmung, der Nachdenklichkeit oder gar der Traurigkeit, manchmal mit einem Gefühl der Heiterkeit, Ironie und Absurdität. Das ausströmende Fluidum, dass die Welt mit Zenita Komads bombastischem Schaffen überflutet, ist – so oder so – an- wie aufregend zugleich und versetzt die Rezipienten nicht zuletzt aufgrund des Brechens der Ketten des Kausalen in gedankliche und emotionale Schwingungen.
Köstliche Freiheit, friedliche Anarchie und, nicht zu vergessen, der traurig-heitere Tanz durchs Leben erinnern frappierend an die Gegenwelten der literarischen Figur Mary Poppins, deren Credo es war, zu skizzieren, wie die Menschheit mit der universellen Schöpfung verschmolzen und zugleich von ihr abhängig ist. Mehr denn je bedarf es in der heutigen Gegenwart vielleicht derartiger künstlerischer Strategien, um der modernen Welt – zumindest von Zeit zu Zeit – zu entkommen. Dies hat, umgelegt auf Zenita Komads Arbeit, ganz und gar nichts mit Eskapismus zu tun, sondern vielmehr mit einem magisch-spirituellen Versuch, das Wesen der Welt metaphysischer, mystischer und – wenn man an die Wortgeburten der Künstlerin denkt – auch lyrischer zu deuten, als es gemeinhin in Zeiten der informationsflutbedingten Entfremdungsgesellschaft üblich ist. Diese Zenita Komad’sche Methode, die man aufgrund ihres hohen Grades an Intuition nicht als Strategie bezeichnen kann, stellt einen bemerkenswerten Kontrast zur rationalistisch-realistischen Hochglanzästhetikwelt von heute dar. Ihre metaphysische Poesie – mit welchen medialen Ausformungen (Malerei, Zeichnung, Installation, Performance, Musik und Film) auch immer generiert – lehrt uns eine geheimnisvollere Sicht auf die Erscheinungen der Welt. Diese mit einer Opulenz, Kompromisslosigkeit und zugleich Leichtigkeit vorgetragene künstlerische Praxis überrascht, verstört und befriedet unsere Sinne, Wahrnehmungen und Sehnsüchte und lässt den aufmerksamen Betrachter – zumindest temporär – aus der so genannten Realität entrinnen und diese zugleich aus einer gewissen Distanz genauer erkennen, besser erahnen. Die eine – naturgemäß immer konstruierte – Wahrheit gibt es nicht bei Zenita Komad. Ist dies vielleicht die einzig mögliche Strategie, dem Problem der ontologischen Erkenntnis zu entkommen …? Die Expeditionen zu vielen verschiedenen Wahrheiten – gerade im Zeitalter der Bilder und der Virtualität – stellen ein erquickliches und zugleich unerschöpfliches Projekt dar, mit dem Effekt, an den Irrtümern zu lernen und die ultimative, apodiktische Wahrheit zu negieren bzw. zu widerlegen. Vielleicht steckt gerade in diesem Dickicht von Relativierungsmethoden die Chance für Widerspruchsräume, für abweichende Schlüsse, für Bedeutungswandel und eine spielerische Offenheit für die Möglichkeiten des Grundverhältnisses zwischen Mensch und Welt, mit anderen Worten für einen Orientierungsversuch und eine Positionsbestimmung gegenwärtigen Lebens.