Poesie der Zeichen

von Lucas Gehrmann

Ich verliere mich
im Dschungel der Wörter
finde mich wieder
im Wunder
des Worts.
—Rose Ausländer (1)

Sie lächelt, blau strahlen zwei Augen aus einem sonst altersgrau gewordenem Gesicht. Das Leben, die Erinnerungen waren und sind primäre Quellen des umfassenden und vielgestaltigen Œuvres der Louise Bourgeois – wie z.B. ihrer Pensées plumes, deutbar als „federleichte Gedanken“ ebenso wie „mit der Feder zu Papier gebrachte Gedanken“.

Persönliche Erlebnisse und Wahrnehmungen künstlerisch zu verarbeiten ist auch eine Spezialität von Zenita Komad, ebenso wie das Erstellen mehrdeutig lesbarer Aussagen – und beide bedienen sich hierfür einer breiten und gerne gemischten Palette bildnerischer Medien zwischen Malerei, Zeichnung, Schrift, Objekt und Installation. Zenita hat die Grande Dame künstlerischer Experimentierfreudigkeit 2006 in Paris portraitiert und unter ihren skulptural wirkenden Kopf, der zugleich frei im weißen Bildgrund schwebt, geschrieben: „the sky is No limit!“. Im Sinne einer Hommage oder auch als „Devise“ der Künstlerin(nen) gelesen wirkt dieser Satz im Bildzusammenhang völlig stimmig –, sollten wir hierzu aber einen Film gleichen Titels assoziieren, den 1983 David Lowell Rich, ein Regisseur von Spektakel- und Katastrophenstreifen wie etwa Airport 80. Die Concorde, gedreht hat, (2) tritt eine offenbar heterogene Inhaltsebene hinzu: im Hintergrund der filmischen Schilderung des Wettkampfes dreier Frauen, als Astronautin am ersten Flug einer Raumfähre teilzunehmen, steht die platte Huldigung US-amerikanischer Wettbewerbs-Ideale. Las sich Zenitas Satz (inklusive der Hervorhebung des „No“) zunächst wie ein Appell zur (geistigen) Überwindung vorgesetzter Barrieren, so erhält er jetzt zugleich die Dimension eines zeitgenössischen „plus ultra“ im Sinne haltlosen Strebens nach Ruhm und Kapital.

Zenita Komads Welt ist so wie die reale Welt mehrdimensional, ihre Sonnen- und Schattenseite ist nicht nur physikalisch (auf ihrer Kugelgestalt) simultan präsent. Sie selbst sagt: „Ich bemühe mich um Einblicke, Aspekte der Wirklichkeiten: ein Aspekt widerspricht dem anderen. Aber in der gesamten Wirklichkeit treffen sich all diese Aspekte, vermischen sich und sind eins.“ (3) Was sie da betreibt, ist in jedem Fall Poesie, eine Poesie der Zeichen, bildhaft wie skriptoral. Es bereitet ihr sichtlich Freude, sich im „Dschungel der Wörter“ verlierend zu wühlen, um mit neuen Funden aufzutauchen. Nicht selten stellt sie uns dann Rätselaufgaben, indem sie z.B. Wörter oder Buchstaben etwas anders arrangiert als wir sie zu lesen gewohnt sind. Was etwa mag das bedeuten: ICAMETOB ELEIVEINA …? Beim ersten Wort tippte ich zuerst auf russisch-kyrillische Zeichen und las also „Isametov“, was mich, da des Russischen nicht mächtig, im Internet suchend auf ein Verzeichnis sowjetischer Soldaten des 2. Weltkriegs führte. (4) Nicht uninteressant, aber etwas zu weit daneben, können wir das ganze doch auch auf Englisch lesen: „I came to beleive in a / power much higher than me“. Ob diese „power“ übrigens göttlicher Natur sein soll, bleibt wieder als Rätsel stehen. Jedenfalls hat die Aussage damit zu tun, dass die Künstlerin weniger sich selbst (als „Autorin“) im Mittelpunkt sehen möchte als ihre Arbeiten. (5) Und das gelingt ihr, indem wir uns freiwillig „nötigen“ lassen, genau hinzuschauen, um dem Rätselhaften näher zu kommen. Was nicht immer gelingen wird – doch gewiss ist: wir müssen nicht ewig auf (besser)wissende Autoritäten warten, denn die sind rasch zur Stelle, wenn wir nur an einen weiteren Bildtext Zenitas glauben: „Back in a minute. Godot“.

1) Rose Ausländer, „Im Wunder des Worts“, in: Mutter Sprache. Gedichte, gelesen von der Autorin, CD, München: Der Hörverlag, 2002
2) The Sky’s no Limit, USA 1983, besser bekannt in der TV-Fassung unter: Mit Challenger One ins All. Drei Astronautinnen warten auf ihre Chance.
3) Zenita Komad im Gespräch mit Gerald Matt, in: Gerald Matt, Interviews II, Verlag Walther König, Köln 2008, S. 143
4) zu einem Soldaten namens Ishmuhamet Isametovich Isametov. Siehe: http://english.pobediteli.ru/veteran-search/…
5) „… mein Werk soll im Mittelpunkt stehen, nicht ich.“ Vergl. Anm. 3, S. 144