FEIERLIchE mEssE
FüR dIE
ARmEN hUBBLEs
von Markus Mittringer
(Eine Art Opernführer durch Zenita-Universe, einem Zustand, an dem das Wuchern und die Geometrie, die Natur und die Kulturen, die Monochromie und das Beredte einander heftig umarmen. Oder: Einführung in die Philosophie des großen Boudoirs.)
Die Expedition zum Mars scheitert einzig daran, dass die Raumfahrer wieder zurück wollen. Sentimentale Kerle sind das, Helden bloß von dieser Welt. Kein Wunder, dass die nicht vom Fleck kommen, mental und technologisch hochgerüstet für die Reise, haben sie doch die Hosen gestrichen voll beim Gedanken, ihr Ziel wäre tatsächlich das Ziel. Nicht auszudenken, sie könnten dem Vater, der Mutter, dem Sohn, der Tochter und zuallererst dem Präsidenten nicht davon berichten, wie es denn nun wirklich zugeht am Mars, wie der Minotaurus aussieht, wo Gott wie wohnt. Ihre einzige Absicht ist die Wiederkehr – körperlich wie geistig unbeschadet, mit tollen Souvenirs im Gepäck. Und dann: Anekdotensprudelnd die Heldenpension genießen, bis hin zum letzten Interview als letzter lebender Zeitzeuge, als einer der ganz Großen unter den Hiesigen am Pool aus „Wie ich den Eingang zum Labyrinth wieder gefunden habe – eine Autobiografie“ lesen. Bis der Tod aller Vorsorge zum Trotz dann doch kommt, fremd und gemein.
Dabei sind Himmel und Erde doch untrennbar miteinander verbunden, nähren einander wechselseitig, und jeder kann allerorts und jederzeit am Vollzug ihrer Liebe teilhaben. Nur zuschauen lassen die sich nicht dabei. Der Voyeur und das Geheimnis sind unvermittelbar voneinander getrennt. Ins große Boudoir kommt nur wer bereit ist mitzumachen. Die Spanner bleiben auf ewig Kosmonauten, verdammt dazu, täglich die immer gleichen Zurückgelassenen wieder zu treffen.
Und dabei hat Platon schon längst vor dessen Erfindung erkannt, dass das Teleskop ein Irrtum sein würde. Anstatt die Sterne zu beobachten, war ihm klar, sollten wir deren (Bewegungs-) Gesetze durch das Denken ergründen. Noch das größte Hubble ist außer Stande auch nur eine Saumbreite unter den großen Rock zu schauen, den Vorhang zum Boudoir zu lüften, den Ursprung der Welt einigermaßen scharf abzubilden.
Das Göttliche hat sich vorsorglich in Tiraden organisiert, um sich gegenüber jeder Art der Zweierbeziehung abzugrenzen. „Mein Entdecker und ich“, „Der Herrgott und sein oberster Hirte“, „Die Wahrheit und ihr exklusiver Verkünder“, derart Einfältiges schreit auf ewige Zeiten unerhört zum Himmel. Jenem Nahe zu kommen, gilt es, zuallererst am Boden zu bleiben, und das Denken in Dreifaltigkeiten üben. Das Dramadreieck ist dem Duell in jeder Hinsicht überlegen. Der Zustand dreier verschränkter Gesichter ist nicht mehr lokalisierbar, beschrieben werden kann nur noch das Gesamtsystem, das sie initiieren. Die Wechselwirkung der Personen ergibt mehr, denn die Summe aus deren Augen, Ohren und Nasen. Außerdem entdreit man sich nicht so leicht.
Zeit, ein Modell zu bauen.(um weiter zu kommen, verzichten wir auf dessen Rechtfertigung durch den praktischen Nachweis der Zuverlässigkeit seiner Fiktionen im Alltag) Passieren die Mesokosmonauten das Tor zu Amel Bourouinas Galerie, eröffnet sich den Besuchern ein Wegesystem, das – einmal angenommen – ohne auch nur die geringste Steigung aufzuweisen, zur Drauf- sicht führt. Im Zentrum – vom (vorläufigen) Gipfel hinabblickend – erkennt der Mesokosmonaut sich selbst im Kleinen, sieht Galerie und Artefakte modellhaft unter sich – und bringt sich ein, und lokalisiert sich.
Schenkt der Mesokosmonaut dem Modell glauben, liegt eine lange schmale Passage vor ihm, ehe die eben betretene Galaxie sich wieder weitet. Dort soll laut Modell dann ein anderes System die Richtung weisen. Ausgang ist keiner ersichtlich. Und auch kein Gral. Der ihm bekannte Realraum aber birgt Hinweise:
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„Ich verzeihe mir“, „Control your Thoughts“, „Schön Malen kann nicht jeder“ – Sätze aus Sand gebaut, Buchstaben, die sich für diesen Moment formiert, zu Schriftbildern zusammengerottet haben, die launig Anweisungen geben, sich gerade so lange zu Weisheiten oder Plattitüden formieren, bis des Meeres oder der Liebe Wellen sie vorübergehend platt machen – nur um umgehend in einer Sandkiste, in neuen Beziehungsgeflechten aufzuerstehen.
Ist den Buchstaben langweilig – und nur dann – spielen sie Malkasten. Sie stellen sich brav in einer Reihe auf, vorne das „A“, ganz hinten das „Z“, von Weiß über Gelb, Rot, Grün, Blau bis zum Schwarz. Sie machen das in der Hoffnung, dass jemand sie aufmischen wird, durcheinanderwirbeln. Wenn den Buchstaben einmal nicht danach zumute ist, Sinn zu stiften, Dritter Gedanken darzustellen, oder sich in Hexameter pressen zu lassen, dann ruhen sie lieber als wilder Haufen, oder gehen in die Suppe schwimmen, anstatt, geordnet wie die Buntstifte, im Setzkasten zu schlafen. Den Sandkörnern geht es genauso: Lässt die Rieselfreude nach (sie sind dann müde, Dritten den Lauf der Zeit zu veranschaulichen), rotten sie sich zu einer festen Burg zusammen. Oder sie verlassen die Kiste wieder und schreiben ringelspielend „Cold Coffee Steam Makes Beautiful“ an die Leinwand.
Zenita Komad kennt die Buchstaben und die Farben und die Sandkörner. Sie weiß um deren Verwandtschaft, um die Schnur, die alle an den Nabel bindet, um deren Lust zu interagieren, um deren Potential, alles auszusprechen („Happiness Makes Up in Height for What It Lacks in Length“). Sie weiß, dass die Bilder Bilder gebären, Worte Worte nach sich ziehen, und Taten und Einfälle. In ihrem Katalogbuch „Opus IV. Selected Works“ hat Komad Werkgruppen chronologisch aneinander gereiht, nun erweitert „Missa Solemnis“ das Feld ihrer fröhlich vergleichenden Zenita-Universe-Wissenschaften um einen feierlichen Akt. Womit wieder ein Grundriss freigelegt, ein Stück des Fundaments von Zenita-Universe (ein alle einladender Privatgrund) offengelegt wird, gezeigt wird, dass in viele Richtungen gleichzeitig gebaut, mit allen möglichen Materialien zugleich erweitert, auf Papier ebenso ewig zementiert, wie auf Leinwand skizziert werden kann.
Komads Messe ist eine Reise. Wer will, packt das „Bild gegen den bösen Blick“ ein, oder zieht sich besser gleich zu Beginn warm aus. Denn bisher ist immerhin schon Folgendes geschehen: Die Monochromie hat seltsame Kinder geboren: Kinder, die Wurzeln schlugen, Raum griffen, Form annahmen, die endlich genug hatten von der Eintönigkeit und begannen, Orgien zu fei- ern. Die Monochromie forderte in den Vorspielen zu dieser Messe endlich auch eine Handlung für sich ein, führte Freudentänze vor und wüste Feste. Endlich entfesselt, begannen ihre Kinder sich gegenseitig zu verschlingen, stachelten sich zu massenhaften Zeugungsakten an, wurden nicht müde, den Lustgewinn einzufahren und ihre Umgebung damit anzustecken. Uns, den Mesokosmonauten, denen nichts anderes übrig blieb, als teilzuhaben.
Vollständig. Denn: Wer sich entzieht, sieht nichts, wer einen Teil verweigert, verliert alles. Betrachter gibt es nicht, Beteiligung wird eingefordert, Risiko. Denn vielleicht ja sind das höchst agile Wurzeln, die von einer anderen Seite her, vom Jenseits der Leinwand, aus einem anderen Himmel, zu uns vordringen; auf der Suche nach Nahrung, nach Symbionten, nach uns. Wurzelt da die Kunstgeschichte in den so gegenwärtigen Leinwänden, oder ist die Leinwand, ist der uns bekannte Himmel ja doch kein Limit? Der Weg zur Klärung des Dahinter führt direkt hinein ins Gewühl, mitten durch. Und dort finden sich – wer weiß – vielleicht jene strahlenden Zauberwesen, die sich von den mitgebrachten Erwartungen abwenden, die Primaballerinen, die locker die Laokoon-Gruppe stemmen, und so das ganze alte Heldentum vom Bann der Schwermut erlösen – in einer Sphäre des sensationsreichen Einklangs von Wort, Bild und Ton, dort, wo nicht ängstlich abgewogen, gegenseitig ausgeschlossen, wechselseitig verdammt wird. Fad jedenfalls darf man sich den Frieden in Zenita-City nicht vorstellen. (Es gibt da unter anderem auch vollbusige Bilder, die Leben spenden.)
Der Besucher findet sich inmitten einer Vierung wieder. Die Bodenzeichnung aus Sand zeigt den Grundriss einer Kathedrale. So wie er, der Reisende, jetzt da steht, an der Kreuzung von Langhaus und Querschiff, muss er durchs Nordportal gekommen sein, hat ihn der Wirbel im Geburtskanal, hat ihn die Dynamik der prall mit Leben gefüllten Speicherblöcke in der engen Doppelhelix geradewegs in einen Ruhesitz gespien, in einen ihm gut bekannten Lehrstuhl gespuckt. Erinnerung lässt aus den Mauerresten steile Wände wachsen, lässt verwegen spitze Bögen sich über ihn schließen, lässt den Sand immer wieder aufs neue feste Form annehmen, ein Haus bilden, sein Haus, das Haus Gottes. Erinnerung lässt die aufgehäufelten Sedimente die je prägenden Gedanken der Baukunst aller Zeiten ausführen, lässt Heilige ohne Zahl, abertausende von Ingenieuren, all die Maler und Bildhauer wieder tätig auftauchen – in der Mutterkirche, im Tempel, im Gewerkschaftsheim, im Palast der Republik.
Er findet sich zurecht. Er kennt den Sinn der Wege, die hier zu gehen sind, die Richtungswechsel, die vorzunehmen sind, um spezielle Nischen aufzusuchen. Er kennt die Praxis der hier angebrachten Rituale. Und bläst den Grundriss fort, lässt die Maler hinter sich, schenkt den Priestern ein letztes Lächeln, ergreift die pralle Nabelschnur, die durch die Laterne in die Vierung baumelt, zieht entschlossen genug an, den Himmel zur Erde, zu sich zu holen – und geht endlich auf im gewaltigsten aller lustvollen Akte.
Außenstehende vernahmen von Ferne nur ein frohes Glockengeläut zu ihnen höchst unpassend erscheinender Stunde.