liebe z.
von markus mittringer
bin eben wieder an diesem platz vorbeigekommen. ich weiß nicht, ob lothar schmidt mich gesehen hat, er war so konzentriert, das spiel in der rechten ordnung zu halten, er scheint mit seinem hochsitz verwachsen zu sein. dein feld ist schon ziemlich abgebraucht, die bauern haben furchen und auch die läufer sind mitgenommen. ich weiß nicht, wer diesmal gesungen hat. ich höre immer noch die maria harpner und sehe den ignaz kirchner sie küssen. aber für die anderen war eben heute premiere. schaust du noch ab und an vorbei? während des malens vielleicht, oder im traum?
ich mag es, wenn deine bilder raum greifen, erregierte finger die betrachter fordern, wenn velasquez’ rüssel ins jetzt langt, wenn die dornenbewehrten zungen fabelhafter wesen all jene schrecken, die der kunst mit angst begegnen. und am liebsten hätte ich all die augenpaare in st.petersburger-hängung um mich, ließe mich mit geschichte fluten und zugleich von blicken perforieren, die sorge tragen, mich voran zu treiben.
aber ich kann ja nicht dauernd in deinem studio sein, mich umgeben mit anlassfällen die richtung zu hinterfragen, mir espressi einverleiben und das aus-den-ufern-treten erproben. draußen will noch so viel erlebt werden. weißt du noch, wie du in dieser urdeutschen stadt in irgend einem der domherrenhöfe kopfüber hingefallen bist, geblutet hast und danach rostbratwürste gegessen? ich wusste noch nicht, dass karl may und raoul capablanca sich kennen, dass schach stets von den großvätern weitergegeben wird, wo louise bourgeoise wohnt, dass miramare auch nur eine immobilie ist, und nadir gottberg ein komponist. aber das mit der oper hätte ich durchaus ahnen können.
ein paar gassen weiter bin ich auf dein bild mit den dreiecken gestoßen: es läge nur an mir, hat es gesagt, mir ein bild von gott zu machen, und gar nicht weit davon stand „religion is dangerous“, und dass man das unmögliche machen muss. am besten zuerst.
amor schaut immer wieder vorbei, und wenn er gut drauf ist, befällt er ganze familien. dann ist die stadt im taumeln, dann werden die stoffservietten ausgepackt, dann kommen worte wie wörter in die gänge, treffen einander in den schnittpunkten waghalsiger manöver und stiften fröhlich sinn wie unsinn, laden sich wechselseitig mit bedeutung auf, rotten sich zu aphorismen zusammen, zerfallen vergnügt in buchstaben, nur um sich andernorts wieder neu zu erfinden. und wenn ihnen danach ist, kleiden sie sich eben in eine andere sprache. manchmal stellen sie fremder dichter worte nach und manchmal deine, manchmal bilden sie mauern aus, sind keusch und unverrückbar, und dann wieder wollen sie genommen werden, erschüttert, über den haufen geworfen. nur kompromisse mögen sie nicht, da sind sie stur wie amor. da geht dann gar nichts mehr, da hängen sie bloß noch schlaff in ihren zeilen.
es ist gut, dass du auch mit der nähmaschine malst, wörter in schichten aufträgst, kleidung einbringst, auf ewig keine ellbogen schonst, und die sache mit dem wunschbild schon erledigt hast. neulich hab ich ein wort dabei beobachtet, wie es sich als maigrüner patzen auf einer leinwand niedergelassen hat. ich hab mich gleich dazu gelegt. wir sind uns sehr nahe gekommen. übrigens: bei „fortuna“ kreuzen jetzt schon immer mehr das „ja“ an.
gestern war ich selbst wieder in einer deiner wahlzellen um durch zenita-city zu reisen, genauer gesagt nach „wissen ist eine höchst komplizierte sache – liebe auch“. ich komm dort immer wieder einmal hin um hoch gelassen „sic!“ zu sagen, dem gesang der weißen königin zu lauschen, den tyrannen zu treffen, die graue eminenz, den helfer, die schwäne, die seele des spiels, die freunde, die geister und dich. maria callas ist mit der post vorbei gekommen, das ortsschild stand wie immer in der mitte, und die zeit hatte schon rote backen. und wie immer auch standen die keuschheitsgürtel kopf. barocke wasserspiele fielen mir diesmal ein, gespeist von lusterfüllten bäuerinnen, die ihrem schamgeschirr zum trotz, gewaltige fontänen in den himmel pissen.
an welcher ecke du wohl eben weiterbaust, mit deinem team aus dichtern und tonsetzern, vätern und interpreten, malern und erfindern die stadt erweiterst? was du wohl gerade verdaust, dir unterziehst; welche stifte du wohl im moment wie die derwische über die leinwände tanzen lässt? wen du wohl demnächst zum klingen bringst? ich komm jetzt vorbei. bring zigaretten mit und keine erwartung.