Überall ist Zenita City
von Markus Mittringer
Zenita Komad versteht ihr Werk als Stadt: Zenita-City ist zugleich pulsierende Metropole wie Idyll, eine Baustelle, ein Rückzugsgebiet, ein Tempel, eine strenge Kammer, ein Lichtkurort. Zenita-City ist überall. Ein kleiner Rundgang:
Am 23.Oktober 1960 sprang Yves Klein in Paris ins Leere. In Zenita City macht er das jederzeit, wird nicht müde, „Leaps into the void“ (Saut dans le Vide) zu wagen. Und Zenita fängt ihn auf, hat Löffel parat, um Yves' Blau zu fassen. Einem Dreigestirn aus Brüsten entspring der berühmte Farbton, nimmt seinen Weg durch jenes Medium, aus dem Klein am liebsten alles gebaut hätte – die Luft – und tönt dabei die weiße Latexschicht über der Leinwand, befleckt die weißen Wände, schenkt den weißen Löffeln ihren Sinn – füllt sie mit Nahrung, belebt das Gerät. Ein Schalter gibt Yves das Zeichen, loszuspringen. Er springt aus Freude. Nicht das Kommando lässt ihn abheben, vielmehr seine Lust an der Teilhabe Dritter, die Lust daran, möglichst viele mitzureißen ins Abenteuer „Nichts“. Dort treffen einander Yves und Zenita, um mit Gästen zu feiern. Mit neuen Freunden, die sie im Sturm genommen haben, die eingeweiht wurden in die Gewissheit, dass im Nichts alles zu finden ist, bloß nicht das, was jeder Einzelne gesucht hat.
Yves’ Welt, jene von Alice und Zenita City liegen nicht nur hinter dem Spiegel, sind keinesfalls hermetische Bezirke. Das Wunderland liegt beiderseits des Glases. Immer. Selbstverständlich haben die Gegenstände auch im Hier und Jetzt Seelen, können nach Belieben ihre Gestalt ändern. Selbstverständlich können die Menschen im Hier und Jetzt auch Fliegen. Und natürlich auch können die Wörter sich frei gruppieren, Fremder Sätze zitieren oder eigene bilden. Und selbstverständlich auch kann ein Finger erwachsen werden, sich von seiner Hand (die vielleicht hinter der schwarzen Leinwand zuhause ist) emanzipieren, um fortan auf eigene Faust zu reisen. Reif genug, gibt er nun selbst die Richtung vor – sich und anderen, spendet Lust, verweist, mahnt ein. Oder streut launig rote Pfeile nach allen Himmelsrichtungen aus.
Selbstverständlich rot ist auch die Quelle Navel-Table, der Ursprung des gordischen Knotens. Von hier an, mit der ersten Nahrungsaufnahme, beginnt alles eine höchst komplizierte Sache zu werden, Wissen, die Liebe, das Leben eben. Kein Grund zur Verzweiflung, es gibt für jede Verstrickung die richtige Wurzel: Strahlend gelbgrünen Ginseng etwa gegen den Gram und Schmerz der Wiener Aktionisten oder glänzend weiße Fasern, die helfen, wenn wieder Hass spricht, wenn der x-te Word-war ausgebrochen ist und messerscharfe Worte Wunden schlagen. Auch wachsen stoßzahnbewehrte Rüssel aus Gründen, hinter denen sich wunderhübsche Elefantendamen mit aufregenden Pobacken vermuten lassen; oder das Gesicht Zenitas oder jene Antlitze aller Betrachter, die sich vermittels Kunst ein wenig selbst erkennen. Und dann gibt es in Zenita City noch ein Fenster ins Unsichtbare: Das ist jener Ort, an dem das Wuchern und die Geometrie, die Natur und die Kultur, die Monochromie und das Beredte einander heftig umarmen.
Zenita City ist leicht zu finden. Das Ortschild steht genau in jener Mitte, die überall sein kann. Rundherum ist alles möglich. Und oben drüber kreist ein Schwan. Der kann durchaus einmal auf den Nasen der Gäste landen. Das ist nicht als Affront zu verstehen, sondern als Initiation, als sanfter Hinweis darauf, dass in Zenita City die Pheromone bunt sind, die Geschichte nur am Leben bleibt, wenn sie fortwährend weitergedacht wird und das Handeln dem Kommentarbedürfnis eindeutig vorzuziehen ist. Jedenfalls hat Zenita Komad Günter Brus nach dessen 1970er Zerreissprobe wieder liebevoll zusammengestückelt. Natürlich sieht er jetzt anders aus.
So wie Zenita Komad auch sich selbst fortlaufend neu findet, ihre Gestalt verändert, weiter baut. Und warum soll man Tarot immer nur flach spielen? Warum das Spiel nicht skulptural anlegen. In Zenita City beginnt die Monochromie gerade Gestalt anzunehmen und Geschichten zu erzählen, in Zenita City entbinden Leinwände voluminöse Kinder. In Zenita City ist jedes Schachbrett ein Opernhaus und der Selbstreisefinger auch ein geiler Patzen rosaroten Fleisches, auf dem der Schamane zur Ruhe kommt.